NAH DRAN AM LEBEN

Wer den Maler Norbert Fleischer kannte, vielleicht mit ihm befreundet war, der weiß, dass dessen Werk seinen persönlichen Werdegang widerspiegelt: die Lebensfreude, die genommenen Hürden und Widerstände, an denen er sich aufrieb. Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten – was einst Freuds Diktum war, in seinen Bildern zeigt es sich: sie sind nah dran am Leben.

„Wenn einer sich schon anschickt, Bilder und Leinwand zu kaufen …“ – dieses Bedenken des Joseph Beuys wurde hier beherzigt. Es wurde nicht Kunst der Kunst wegen produziert, noch auf den Markt gezielt. Vielmehr flossen eigene Erfahrung ein, erkenntnisreich und offenbarend. Verschroben- und Verstiegenheiten kann man hier lange suchen, nein: mit bildnerischen und zeichnerischen Mitteln wurde „klare Ansage“ gemacht.

Zwischen kraftvollem, spontanem Gestus und meditativem Kalkül wechselnd, malte Norbert seine großformatigen Ölbilder, übermalte sie wieder und wieder. Durch Schichten hindurch, wie ein nach Sinn grabender Archäologe, gelangte er zum Ergebnis. Die Basis seiner Zeichnungen hingegen waren oftmals zufällig gefundene Untergründe und Papierblätter, mit ihren von der Zeit vorgezeichneten Spuren, Vergilbungen und Verschmutzungen.

Fröhliche Geschichten erzählen diese Bilder, vom Scheitern auch und mit Humor vermengt. Ferner ist jene Schwermut im Spiel, die seit Dürers Melancholia die Grundlage bildet für wissenschaftliches Arbeiten, Baukunst und Kultur. Gefällig ist das alles nicht – vielmehr gefährliche Gratwanderung. Wie Nietzsche es sagte: „Man muß noch Chaos in sich haben.“ So entstand ein reizvoller Kontrast zwischen hässlich und schön, zwischen fein und roh.

Die Attraktion seiner Werke liegt aber auch in einer gewissen Sehnsucht, die mitschwingt: Sehnsucht nach dem Leben und nach Liebe; nach dem Anderen und dem Unaufgeräumten – in dem sich die Punker, die misfits, Verlorene und Randständige eher wiederfinden als die allzu Anständigen.

Von J. Siemer

NF – EIN RÜCKBLICK

Norbert kam aus Hamburg. In der Grundklasse des Studiengangs „Freie Malerei“ in Hannover Anfang der Achtziger gehörte er mit Ende Zwanzig schon zu den älteren Semestern und er brachte einiges an Lebenserfahrung mit („die harte Schule“). Auch in der Malerei selbst war er schon weit fortgeschritten, nahezu ausgebildet und gehörte eindeutig in die Kategorie „Malschwein“, wie wir jene nannten, die ihr Augenmerk weniger auf Konzeptkunst und Kopfspiele setzten, sondern auf das action painting – im explosiven, exponierten Gestus der Neuen Wilden, der ihm lag und damals auch en vogue war, sodass die Farbe nur so tropfte und am Bildrand zerlaufend ihr Eigenleben führte.

Schnell fand er dann sein Grundthema, dem er bis zu seinem letzten Lebensjahr, im Alter von zweiundsechzig Jahren, immer noch treu geblieben war: der Verbindung von Schrift- und Zeichenfragmenten mit bildnerischen oder zeichnerischen Form- und Farbgebungen. So ging auch das Figürliche mit dem Abstrakten stets Hand in Hand. Norbert trug sein Herz in der Hose.

Zuweilen war er unwirsch, missmutig, konnte klare Kante zeigen. Aber im Kern war er ein netter Kerl und als Freund fehlt er vor allem als Gesprächspartner. Oftmals des Nachts stundenlang durch die Stadt stromernd (damals noch mit Tiger, seinem Hund) fühlten wir dem Gewicht der Welt, dem Lebenssinn, den kreativen Prozessen und unseren Zeitgenossen beim Gehen plaudernd auf den Zahn (ja, wir kannten unsere „Pappenheimer“). Norberts Kunst hatte stets und hat bis heute viele Freunde. Trotz aller melancholischen Anklänge und provokativen Elemente, aus vielen Bildern sprühten Lebenslust und Mutterwitz wie Funken. „Dum spero, spiro“ – im Gesamtwerk wirkt sein spirit fort.

Von J. Siemer